Bürokratie automatisieren statt abbauen
Viele Bürger*innen denken bei Bürokratie an lästiges Ausfüllen von Formularen und Warten auf Genehmigungen. »Neoliberale« meinen aber: dem Staat die Möglichkeit nehmen, zu regulieren und zu gestalten – sodass die Wirtschaft mehr Macht erhält. Bürokratie ist das Instrument des Staates, Gesetze und Verordnungen in Verwaltungshandeln und wirtschaftliche Leitplanken umzusetzen, was am Ende die Spielregeln des Marktes und der Gesellschaft sicherstellt.
Bürokratie, so lästig und ausufernd sie manchmal auch sein mag, dient im Kern dem Schutz von Mensch und Natur. Reformen und Komplexitätsreduktion sind bestimmt notwendig. Aber diejenigen in der Wirtschaft, die einen ersatzlosen Abbau fordern, meinen eigentlich nur noch mehr Verantwortungslosigkeit und Umverteilung zu ihren Gunsten.
Statt Bürokratie abzuschaffen, könnte eine digitale Währung bürokratische Prozesse automatisieren, sodass sie keine Arbeit mehr produzieren, aber dennoch strenge Spielregeln für die Wirtschaft vorgeben. Da in unserer Welt fast alles auf Geld basiert, könnte eine digitale Währung anhand der Zahlungsströme fast alle für diese Utopie notwendigen Daten automatisch sammeln. Alle notwendigen Daten sind bereits in den IT-Systemen der Unternehmen vorhanden.
Beispielsweise könnte der CO2-Fußabdruck eines Produkts anhand der Menge und Art der eingekauften Treibstoffe, Energie und anderer Rohstoffe automatisch ermittelt werden. Heute schon werden in den IT-Systemen der Unternehmen (kurz ERP-Systeme) die Kosten für diese Einkäufe auf die Produkte umgelegt. Der Mechanismus ist also schon vorhanden, und mit der Umlage der Energiekosten erhält jedes Produkt dann zukünftig auch automatisch seinen CO2-Fußabdruck, ohne dass eine Abteilung im Unternehmen dies für jeden einzelnen Artikel in Excel ausrechnen müsste.
Dasselbe gilt für Privatpersonen. Wer bei der Zulassungsstelle warten muss, hat in der Regel ein neues Auto gekauft. Durch die Bezahlung des Kaufpreises kennt die digitale Währung den Vorgang bereits und kann den Kauf verifizieren. Auch kann dann die Zulassung automatisch angestoßen werden.
Automatisierung der Bürokratie für Bürger*innen
Die Möglichkeiten einer digitalen Währung reichen weit über den Zahlungsverkehr hinaus und könnten viele alltägliche Prozesse automatisieren. Hier nur ein paar Beispiele:
- Digitale Wahlen: Ein Open-Source-Programm in der digitalen Brieftasche prüft anhand von Zahlungsströmen, ob eine Person real existiert (Lebensmitteleinkäufe, Arztrechnungen, Mietzahlungen) und ermöglicht so eine fälschungssichere digitale Stimmabgabe bei einer Wahl. Das Open-Source-Programm wird von einer unabhängigen staatlichen Instanz erstellt.
- Bedingungslose Übernahme von lebensnotwendigen Kosten: Fehlt es einer Person an überlebensnotwendigen Gütern wie Medizin, Nahrung oder Wohnraum, kann die Währung automatisch Grundbedürfnisse finanzieren – ohne bürokratischen Aufwand oder Missbrauchsmöglichkeiten, da das Geld direkt die Kosten für Lebensmittel, Miete oder medizinische Versorgung übernimmt. Eine konsequente Anonymität sorgt dafür, dass solche Regeln nicht für ausgewählte Gruppen, wie z. B. Schutzsuchende oder Bürgergeldempfänger beschlossen werden kann. Wird eine solche Regel gewählt, dann gilt sie entweder für alle oder für niemanden. Vielleicht ist dies ein mehrheitsfähiger Kompromiss für eine Gesellschaft, die so viel Angst vor der Übervorteilung weniger Betrüger hat, dass sie bereit ist, unzählige Menschen in Existenznöte zu schicken.
- Automatische Ummeldung: Ein Wohnungswechsel könnte allein durch die Änderung der Mietzahlung bestätigt und registriert werden, ohne Behördengänge.
- Arbeitslosengeld oder Rente: Die Währung erkennt anhand von ausbleibenden Gehaltseingängen, ob eine Person arbeitslos wird oder das Rentenalter erreicht hat, und löst automatisch entsprechende Arbeitslosen- und Rentenzahlungen aus.
- Automatische Fahrzeugzulassung: Beim Autokauf prüft die Währung, ob der Käufer für TÜV und Versicherung bezahlt hat. Sofern alle Zahlungen bestätigen, dass ein Auto gekauft wurde, trägt die Währung das bezahlte Auto dann direkt bei der Zulassungsstelle in die entsprechende Datenbank ein.
- Geburtsurkunde & Elterngeld: Die Währung erkennt durch Arztrechnungen und Krankenhausgebühren eine Geburt und stellt automatisch die Geburtsurkunde aus oder startet mit den Elterngeldzahlungen, wenn der Arbeitgeber den Lohn nicht mehr auszahlt.
- Steuererklärung per Knopfdruck: Die Ein- und Auszahlungen des letzten Jahres werden von einem Programm in der Brieftasche automatisch zu einer Steuererklärung zusammengeführt. Nachdem ich das Ergebnis freigebe, überträgt das Programm die Daten an die zuständige Finanzbehörde und zahlt direkt die Steuererstattung aus.
- Plattform für digitale Services: Anstatt sich bei unzähligen Apps zu registrieren, könnten über die digitale Brieftasche verschiedene Services zentral verwaltet werden – von Versicherungen über Gesundheitsakten bis zu Vertragsverwaltungen. Sollte dort zum Beispiel der Dauerauftrag für ein Zeitungsabo beendet werden, versteht die Währung direkt, dass der dahinterliegende Vertrag gekündigt wird.
Automatisierung der Bürokratie für Unternehmen
Auch für Unternehmen könnte die digitale Währung erhebliche Erleichterungen bringen. Auf den ersten Blick scheint es so, als müssten Unternehmen durch neue Bewertungssysteme zusätzliche Daten bereitstellen. Aber viele dieser Daten müssen ohnehin bereits erfasst und aufbereitet werden. Schon heute brauchen Firmen Zertifizierungen und nichtfinanzielle Berichterstattungen – das erfolgt meist über manuelle Prozesse, indem jemand zum Beispiel den CO2-Abdruck der eigenen Produkte in Excel nachrechnet. Diese manuellen Prozesse werden dann nicht selten von Wirtschaftsprüfer*innen kontrolliert und bescheinigt. Eine digitale Währung könnte diese Vorgänge vollständig automatisieren, indem relevante Daten direkt an Einkaufs- und Zahlungsströme angehängt werden, sodass sie direkt in die IT-Systeme der Konzerne fließen.
Unternehmen mit einem komplexen Geschäftsmodell wissen genau, wie viel Geld sie mit ihren verschiedenen Produkten verdienen – sonst wären sie längst vom Markt verschwunden. Die Ausgaben und Kosten werden von ihrem ERP-System auf die Produkte verteilt. Die Systeme können also bereits Geld verteilen, und da die zusätzlichen Daten zukünftig am Geld hängen, ordnen sie sich mit dem Geld den Produkten zu. So werden alle neuen Daten auf Basis der bestehenden Prozesse und ohne zusätzlichen Aufwand auf die Produkte verteilt. Dies verkürzt viele Zertifizierungen und Audits wie Bio-, Öko-, CO2-neutral-, ISO-, GMP- oder Compliance-Labels. Das liefert auch direkt Daten für die nicht finanzielle Berichterstattung wie zum Beispiel für das Supply Chain Law der EU oder die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen des CSRD (falls diese überhaupt noch benötigt werden). Einige Beispiele, wie eine digitale Währung Unternehmen das Leben erleichtern kann:
- Automatische Nachhaltigkeitsbewertung: Unternehmen mit einfachen Geschäftsmodellen, die nur ein oder eine begrenzte Anzahl von Produkten herstellen, könnten die Zielerreichung ihrer Waren direkt von der Währung berechnen lassen und erhalten entsprechende Zertifizierungen: Biobauern, die kein Glyphosat einkaufen, erhalten automatisch das Biosiegel. Das Biosiegel wird dabei direkt an die verkauften Artikel angefügt, ganz ohne dass der Bauer dafür etwas tun müsste. Er braucht nur das Programm in der digitalen Brieftasche seines Betriebes, das die Siegel erstellt.
- Automatische Buchhaltung und Jahresabschlüsse: Unternehmen müssten weniger für Steuerberater*innen ausgeben, da Jahresabschlüsse durch die Währung automatisch geprüft, gegebenenfalls sogar ganz automatisch erstellt werden könnten.
- Plattform für digitale Kundeninteraktion: Die digitale Währung ist die ideale Plattform, auf der ein Unternehmen eigene intelligente Verträge erstellen kann, um das Geschäftsmodell zu digitalisieren, ohne einen Dritten zwischenzuschalten. Ein Beispiel: Ein Unternehmen vermietet Elektroroller und bringt an jedem Roller einen NFC-Token an. Die Kund*innen können einfach ihre persönliche digitale Brieftasche an den Token halten, kurz auf dem Handy, das mit der Brieftasche verknüpft ist, die AGB lesen und bestätigen und sofort losfahren. Sie müssen keine separate App herunterladen und ihre Kontakt- und Kreditkartendaten eingeben. Alle benötigten Informationen sind bereits in der persönlichen Brieftasche des Nutzers oder der Nutzerin vorhanden. So wird die digitale Brieftasche zum einheitlichen Zugang zu unzähligen digitalen Anwendungen. Unternehmen sind nicht mehr auf Kreditkartenfirmen, Dienstleister oder Plattformen wie PayPal angewiesen, die bisher den Bezahlvorgang und den Austausch persönlicher Daten gegen Gebühr übernehmen.
- Unternehmen müssen auch keine Technologieunternehmen für gezielte Werbung bezahlen, da die Währung eine Plattform schafft, über die Endnutzer*innen direkt gefragt werden können, ob sie bereit sind, gegen Geld Zugang zu ihren Daten zu gewähren. So erhalten alle Unternehmen Zugang zu einer umfassenden Datenbasis, um das volle Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen, ohne auf die Hilfe der heutigen Datenmonopolisten angewiesen zu sein.
- Kleine Handwerksbetriebe könnten sich vollständig auf ihre Arbeit konzentrieren, da Rechnungen, Steuererklärungen und Unternehmensanmeldungen automatisch über von der digitalen Währung übernommen würden.

